Laufende Projekte:
Dieses Projekt verbindet die systematische prosopographische Erfassung und Untersuchung aller (späteren) Ärzte, die zwischen 1502 und 1648 an der Universität Wittenberg Medizin oder/und Philosophie studierten, mit der Untersuchung der Bedeutung dieser Wittenberger Alumni für die Entwicklung und Verbreitung einer mehr oder weniger spezifisch wittenbergischen Medizin, die maßgeblich von den Wittenberger Reformatoren und ihrer Theologie und Anthropologie beeinflusst wurde. Ein solcher Einfluss, so die Arbeitshypothese, lässt sich insbesondere in einer auffällig intensiven Beschäftigung mit der Beseelungslehre (Traduzianismus vs. Sukzessivbeseelung), mit Phänomenen im Grenzbereich zur Dämonologie (u.a. „Ekstase“, also die zeitweise Entfernung der Seele aus dem lebenden Körper, Halluzinationen und Lykanthropie, also Werwolfwahn), mit der Lehre von den Affekten als der körperlichen Grundlage auch des religiösen Glaubens und mit der Anatomie als Beweis der Großartigkeit der göttlichen Schöpfung ausmachen. Das Projekt steht in Kooperation mit
dem Corpus Inscriptorum Vitebergense und einem mittlerweile weitgehend abgeschlossenen Projekt zu den theologischen Alumni der Universität Wittenberg (vgl. Daniel Bohnert, Markus Wriedt: Theologiae Alumni Vitebergenses (TAV). Die graduierten Absolventen der Wittenberger Theologischen Fakultät (1502-1648), Leipzig 2020.
Projektleiter am Institut für Geschichte der Medizin: Prof. Dr. Dr. Michael Stolberg
Projektbearbeiter/inn/en: Dr. Manuel Huth
Kontakt: michael.stolberg@uni-wuerzburg.de
The project aims at exploring early modern forms of quantification that developed in medicine and natural philosophy in relation to the measurement of intensity, an essential thread to various disciplines of knowledge that has never been explored in relation to the subject and for the period under consideration (1400-1650). These forms offered new ways of understanding the body and its functioning, which were later reflected in programmes for proper quantitative experimentation (Marliani) and in the invention of precision instruments (Sanctorius, Marci, Kircher), thus testifying to the original, vital and decisive role of medicine in early modern efforts to mathematise nature. Basically, the project seeks to collect, classify and explore the various notions, applications, and visualisations of intensity in medicine and natural philosophy, with the possibility of extending the results further, in a later phase of the project, so as to include the experimental applications of intensity. In this sense, and especially with contributions from the fields of mechanics and theology, the project seeks to lay the groundwork for a proper evaluation of theories of intensity measurement from the late Middle Ages to the end of the early modern period (1350-1750. Methodologically, the project will challenge the concept of 'paradigmatic change' and current approaches to the 'scientific revolution', which have considered medicine as a non-relevant field of analysis. In particular, it will seek to show that the emergence of the "mechanical concept of force" has long coexisted with the old paradigm of intensity and, in interaction with it, has always produced new insights both in physics (as in the case of Leibniz's "vis viva") and in philosophy that have given new impetus to the analytical study of emotions and perception (as in the case of Baumgarten's "quantitas virtutis" and Kant's principle of anticipation of perception). The project is expected to fill a major intellectual gap and open up new avenues for the study of the early modern period in general.
Projektbearbeitung: Dr. Fabrizio Bigotti (eigene Stelle)
In diesem Projekt werden die zahlreichen Briefe frühneuzeitlicher
Ärzte aus dem deutschsprachigen Raum erschlossen, die in vielen
deutschen und ausländischen Bibliotheken und Archiven überliefert,
bislang aber nur bruchstückhaft erfasst, geschweige denn systematisch
untersucht wurden. Für eine Zeit, in der es noch keine Fachzeitschriften
gab, sind diese Briefe von hohem medizin- und wissenschaftshistorischen
Interesse. Sie spiegeln die Kommunikation und Rezeption neuer Theorien
und Entdeckungen. Sie bergen aber zugleich auch vielfältige Aufschlüsse
über die geistige und religiöse Welt, den beruflichen Alltag und die
sonstigen privaten Verhältnisse der gebildeten Schichten jener Zeit
insgesamt. Die Briefe sollen der internationalen Forschung über Regesten
und, wo möglich, auch als digitale Reproduktionen der Originale mit
Hilfe einer über das Internet zugänglichen Datenbank verfügbar gemacht
werden.
Leitung:
Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg
Offizielle
Webpräsenz zum Projekt Ärztebriefe
Betreuung:
Kommission für Wissenschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
(http://www.badw.de/orga/arbeitsgruppen/k_43_wigesch/index.html).
Geplante Laufzeit: 1.1.2009 bis 31.12.2023.
Publikationen:
Das zentrale Publikationsmedium des Projekts ist die online frei zugängliche Briefdatenbank (www.aerztebriefe.de), die mittlerweile rund 35.000 erfasst, von denen Tausende zudem mit ausführlichen und ggf. kommentierenden Inhaltsangaben versehen sind. Folgende gedruckte Publikationen der ProjektmitarbeiterInnen sind zudem erschienen:
- Walter, Tilmann: „Stadt – Hof – Universität. Akademische Ärzte in den Städten und Residenzen des Alten Reichs“, in: Gerhard Fouquet / Matthias Meinhardt / Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Personen, Wissen, Karrieren. Bildung und Professionalisierung in Residenzstädten (1470–1540) (Residenzenforschung, N.F.: Stadt und Hof), Ostfildern: Thorbecke (im Erscheinen).
- Stolberg, Michael / Walter, Tilmann: Martin Luthers viele Krankheiten. Ein unbekanntes Konsil von Matthäus Ratzenberger und die Problematik der retrospektiven Diagnose, in: Archiv für Reformationsgeschichte 109 (2018) [zur Publikation angenommen].
- Schlegelmilch, Ulrich: Rez. S. Grosser, Ärztekorrespondenz in der Frühen Neuzeit - Der Briefwechsel zwischen Peter Christian Wagner und Christoph Jacob Trew, Berlin / Boston 2015 (Frühe Neuzeit 194), in: Morgen-Glantz 26, 2016, 337–342.
- Schlegelmilch, Ulrich: Andreas Hiltebrands Protokoll eines Disputationscollegiums zur Physiologie und Pathologie (Leiden 1604), in: M. Gindhart / H. Marti / R. Seidel (Hgg.): Frühneuzeitliche Disputationen. Polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens, Köln / Weimar/ Wien 2016, 49–88.
- Walter, Tilmann: „Natur, Religion und Politik – Raumerfahrungen bei dem Arzt und Orient-reisenden Leonhard Rauwolf (1535?–1596), in: Karin Friedrich (Hrsg.): Die Erschließung des Raumes: Konstruktion, Imagination und Darstellung von Räumen und Grenzen im Barockzeitalter (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 51, hrsg. von der Herzog August Bibliothek), Wiesbaden 2014, S. 563-575.
- Walter, Tilmann / Simone Herde: „Ein gnuegsam Testimonium und Zeügknus“. Der Arzt Carl Wideman (1555–1637) im Streit mit dem Collegium medicum in Augsburg, in: Laura Balbiani / Kathrin Pfister (Hrsg.): Minera discipulorum. Vorstöße in das Fachschrifttum der frühen Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Telle, Heidelberg 2014, S. 301-344.
- Schlegelmilch, Ulrich: Medizinische Wissenschaft in Würzburg in der Frühen Neuzeit, in: Dorothea Klein, Franz Fuchs (Hgg.), Kulturstadt Würzburg – Kunst, Literatur und Wissenschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Würzburg 2013, 305–343.
- Walter, Tilmann: Ärztliche Selbstdarstellung im Zeitalter der Fugger und Welser. Epistolarische Strategien und Repräsentationspraktiken bei Felix Platter (1536–1614), in: Angelika Westermann / Stefanie von Welser (Hrsg.): Person und Milieu. Individualbewusstsein? Persönliches Profil und soziales Umfeld (Neunhofer Dialog, Bd. 3), Husum 2013, S. 285-314.
- Walter, Tilmann: New Light on Antiparacelsianism (c. 1570–1610): The Medical Republic of Letters and the Idea of Progress in Science, in: Sixteenth Century Journal 43 (2012), S. 701-725.
- Herde, Simone / Walter, Tilmann: Neues zur Biographie des Augsburger Arztes und
Orientreisenden Leonhard Rauwolf (1535?–1596), in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschafts¬geschichte 94 (2010), S. 129-156.
- Walter, Tilmann: Eine Reise ins (Un-)Bekannte. Grenzräume des Wissens bei Leonhard Rauwolf (1535?–1596), in: NTM. Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 17 (2009), S. 359-385.
Gestützt auf die sehr detaillierten und bislang großteils unbekannten, handschriftlichen Aufzeichnungen von rund einem halben Dutzend deutschsprachiger Medizinstudenten, die zwischen 1540 und 1600 in Padua unter Landi, Falloppia, Fabrizi, Casseri und anderen führenden Professoren studierten, soll dieses Projekt die Geschichte der anatomischen Lehre und Sektionspraxis im postvesalischen Universität Padua untersuchen und auf neue Grundlagen stellen. Vier Themenkomplexe stehen im Mittelpunkt:
1. Sektionspraxis an Mensch und Tier: Wie häufig wurde seziert, bei welcher Gelegenheit und woher kamen die Leichen? Wie schildern die Studenten das praktische Vorgehen der Anatomen an der Leiche? Welche Rolle spielten Sektionen, Vivisektionen und Experimente von/an Tieren?
2. Anatomischer Unterricht: Wie und wo wurde anatomisches Wissen vermittelt? Welche Rolle spielten private Sektionen im kleinen studentischen Kreis im Vergleich zu den großen öffentlichen Anatomien, auf die sich die historische Forschung bislang konzentriert hat? Konnten die Studenten am Sektionstisch selbst Hand anlegen und praktische anatomische Fertigkeiten erwerben? In welchem Verhältnis stand der Unterricht am Sektionstisch zu den klassischen, autoritative Texte kommentierenden Vorlesungen?
3. Methoden und Inhalte: Welche methodus anatomica lehrten die Paduaner Anatomen? Welche konkreten Fragen standen am Sektionstisch und in der studentischen Lehre im Vordergrund? Gingen die Anatomen auch auf die Funktionen der einzelnen Organe oder Körperteile ein? Wo dokumentieren die Mitschriften anatomische Entdeckungen oder innovative Erklärungsmodelle noch ehe diese im Druck öffentlich gemacht wurden?
4. Praxisrelevanz: Inwieweit wurden im anatomischen Unterricht klinische Bezüge hergestellt? Inwieweit wurden die Ergebnisse von Autopsien an verstorbenen Patienten in die anatomische Lehre einbezogen. In welchem Verhältnis standen anatomischer und chirurgischer Unterricht? Wurden chirurgische Eingriffe an Leichen gezeigt oder gar geübt?
Projektleiter am Institut für Geschichte der Medizin: Prof. Dr. Dr. Michael Stolberg
Projektbearbeiter/inn/en: Dr. Fabrizio Bigotti
Kontakt: michael.stolberg@uni-wuerzburg.de
Das Gemeinschaftsprojekt führt die bisher unverbundenen kunst- und humanwissenschaftlichen Sammlungen der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Medizinhistorische Sammlungen, Martin-von-Wagner-Museum, Adolf-Würth-Zentrum für Geschichte der Psychologie, Forschungsstelle Historische Bildmedien) unter einer gemeinsamen Forschungsfrage zusammen: INSIGHT untersucht, welche Bedeutungen der Blick und das Sehen in Praxisfeldern und Forschungskontexten der antragstellenden Sammlungen haben und macht so die Prozesse des Sehens selbstreflexiv zum Gegenstand gemeinsamer Sammlungsforschung.
Den Signaturen, der Darstellung und der Reflexion des eigenen und des fremden Blicks und die mit ihm verbundenen Facetten des Sehens kommt von der Antike bis in die Gegenwart eine große Bedeutung zu. Blick und Sehen sind ein zentraler Zugang des Menschen zu Welt. Sie erfassen menschliche Selbst-, Welt- und Sozialverhältnisse in konstitutiver Weise. Der Blick und das Sehen sind dabei nicht nur Erkenntnismodelle, sondern vor allem Handlungsmodelle. Die Sammlungsobjekte als Handlungsmodell zu untersuchen, die durch Erziehung, durch soziokulturelle Praktik, historische Kontingenzen, spezifische Technologien und Professionsverständnisse bedingt und figuriert sind ist das zentrale Forschungsziel von INSIGHT.
Projektleiterin am Institut für Geschichte der Medizin: Prof. Dr. Karen Nolte
Kontakt: karen.nolte@histmed.uni-heidelberg.de
Projektbearbeiter/inn/en:
Projekt: "Sammlungsmanagement": Monika Weber, M.A.
Kontakt: monika.weber1@uni-wuerzburg.de
Projekt: "Ethik des Blicks – Professionalisierte Blicke": Dr. Maria Keil
Kontakt: maria.keil@uni-wuerzburg.de
Weitere Informationen unter einBlick "Facetten des Sehens"
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ab 1.1.2017 für drei Jahre geförderte Projekt erschließt die gedruckten Werke von Joachim Camerarius d. Ä. (1500-1574), der als der "hervorragendste deutsche Philologe des 16. Jahrhunderts" nach Erasmus von Rotterdam gilt (Friedrich Stählin). Die Antragsteller (Prof. Dr. Thomas Baier, Lehrstuhl für Klassische Philologie II – Latinistik, Prof. Dr. Joachim Hamm, Professur für deutsche Philologie, insb. Literaturgeschichte
des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, und Dr. Ulrich Schlegelmilch, Institut für Geschichte der Medizin / Akademieprojekt Frühneuzeitliche Ärztebriefe) verfolgen das Ziel, erstmals einen vollständigen Überblick über das umfangreiche und vielfältige Oeuvre des Camerarius zu gewinnen und die Entstehungskontexte und Funktionen seiner Werke sichtbar zu machen. Trotz der unumstrittenen Bedeutung des Camerarius beschränkt sich die Forschung zu seinen Schriften in griechischer und lateinischer Sprache auf punktuelle Untersuchungen. Eine angemessene Gesamtbewertung wird bislang dadurch behindert, dass das Werk des Camerarius in seinem tatsächlichen Umfang nicht bekannt ist, geschweige denn vollständig inventarisiert, ediert oder hinreichend erforscht wäre. Deshalb ist eine grundständige Erfassung und Erschließung seiner Werke dringend erforderlich. Unter "Werk" wird dabei jeder von Camerarius verfasste (auch unselbständig überlieferte) Text verstanden, einschließlich seiner Kommentare und Übersetzungen. Hinzu treten die von ihm herausgegebenen Texte antiker Autoren; sie gewinnen durch ihre paratextuelle Ausstattung Werkcharakter. Auch der Briefwechsel fällt unter diesen Werkbegriff. Aus pragmatischen Gründen wird die handschriftliche Überlieferung nur insoweit berücksichtigt, als es zu ihr eine gedruckte Parallelüberlieferung gibt.
Projektbearbeiter am Institut für Geschichte der Medizin: Manuel Huth
Weitere Informationen unter Opera Camerarii und Wiki für einen Universalgelehrten
Kontakt: camerarius@uni-wuerzburg
Veröffentlichungen:
- Schlegelmilch, Ulrich:Imagines amicorum. Die Briefausgaben des Joachim Camerarius als literarisch gestaltete Werke, in: Thomas Baier / Tobias Dänzer (Hgg.): Camerarius Polyhistor [Kongreßakten Würzburg 2015], Tübingen 2017 [i. Vorb.].
- Manuel Huth: De generibus divinationum. Camerarius und der zeitgenössische Diskurs über die Formen der Mantik, im gleichen Band [i. Vorb.].
In dem Forschungsprojekt sollen für die Zeit zwischen 1500 und 1900 die langfristigen Veränderungen in den Konzepten, Bildern und Metaphern untersucht werden, die in Medizin und Laienwelt der Beschreibung, Deutung und Bewertung von exzessiver Leibesfülle zugrunde lagen. Als Ausgangsbefund dient die Beobachtung, dass starke Beleibtheit in der gelehrten Medizin bereits seit dem ausgehenden Mittelalter als große Gesundheitsgefahr galt, sich aber die Bilder von der Beleibtheit, die Vorstellungen über ihre Ursachen und Gefahren und die oftmals wertenden Begriffe und Metaphern, mit denen sie beschrieben wurde, über die Jahrhunderte tief greifend wandelten. Diese Veränderungen, so die Arbeitshypothese, spiegelten zum einen den Aufstieg neuer medizinischer Theorien vom menschlichen Körper und seinen Krankheiten, insbesondere die allmähliche Verlagerung vom humoral geprägten Körper (in dem Fett als fäulnisanfälliges innerliches Exkrement galt) zum soliden, festen, nach außen klar abgegrenzten Körper. Zum anderen brachten sie einen langfristigen Wandel in der ästhetischen (z. B. Schlankheitsideale), moralischen (z. B. Völlerei als Todsünde) und sozialen (z. B. der Bauch als Zeichen von Wohlstand) Bewertung von Beleibtheit in der zeitgenössischen Kultur und Gesellschaft insgesamt zum Ausdruck. Anhand eines breit gestreuten Korpus von wissenschaftlichen und populärmedizinischen Schriften soll das Wechselspiel von medizinischen Konzepten und gesellschaftlichen Normen im Zeitverlauf nachgezeichnet werden. Ergänzend hierzu soll den Bildern und Metaphern nachgegangen werden, derer sich nicht-medizinische Texte im Zusammenhang mit übermäßiger Beleibtheit bedienten und auf die sie metaphorisch zurückgriffen. Auf diese Weise soll ein umfassendes Bild von der Wahrnehmung und Bewertung der übermäßigen Beleibtheit in Medizin und Gesellschaft und ihres Wandels im Zeitverlauf entstehen.
Projektbearbeiter: Dr. Alexander Pyrges
Veröffentlichungen:
- Pyrges, Alexander: Fat Knowledge. The History of Corpulence, in: Curare. Zeitschrift für Medizinethnologie / Journal of Medical Anthropology 39 (2016) Heft 2 [im Druck].
Gegenstand des Vorhabens ist die exemplarische Analyse ärztlicher
Praxis im 17. Jahrhundert, wobei "Praxis" sowohl im Sinne einer
konkreten, geographisch verorteten Arztpraxis mit ihrer Klientel als
auch im Sinne des theoriegeleiteten Handelns eines Arztes am
Krankenbett verstanden werden soll. Grundlage ist ein
außergewöhnliches Quellenkorpus aus dem Nachlaß eines damals wie heute
weitgehend unbekannten Arztes im 17. Jahrhundert, Johannes Magirus
(1615-1697). Ein ausführliches Praxisjournal, das Magirus in den
Jahren 1647 bis 1655 zunächst vermutlich in Berlin und dann in Zerbst
führte, verzeichnet die einzelnen Patienten und deren Beschwerden, die
verordnete Behandlung, die Krankheitsverläufe und teilweise auch das
Honorar und gewährt so vielfältige Einblicke in den Praxisalltag eines
gewöhnlichen damaligen Arztes. Dieses quantitativ und qualitativ
auszuwertende Journal wird ergänzt durch eine Reihe von Quellen, die
vielfältige Aufschlüsse über Magirus’ medizinische Auffassungen und
deren Hintergründe eröffnen und es ermöglichen, deren Bedeutung für
die alltägliche Praxis wiederum anhand des Journals zu überprüfen. Zu
nennen sind insbesondere eine umfangreiche Handschrift mit
medizinischen loci communes, also thematisch geordneten Exzerpten, ein
handschriftliches Verzeichnis der Bücher, die sich bei Magirus’ Tod
in seinem Besitz befanden – darunter auch fast alle Titel, die seinen
loci communes zugrunde lagen – sowie ein Teil dieser Bücher selbst,
die noch Magirus’ Unterstreichungen und Randnotizen tragen; hinzu
kommen einige kleinere Handschriften und Briefe sowie Magirus’
Veröffentlichungen, vor allem Kalender medizinisch-astrologischen
Inhalts. Gegründet auf dieses Quellenensemble sollen die Klientel und
die alltägliche Arbeit eines damaligen Arztes ebenso wie seine
medizinischen Vorstellungen und deren konkrete, praktische Anwendung
am Krankenbett in einer für den damaligen deutschen Sprachraum bislang
unerreichten Dichte und Differenziertheit rekonstruiert werden.
Projektleiter:
Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg
Bearbeitung: Dr. Sabine Schlegelmilch
Offizielle
Webpräsenz zum Projekt Magirus
Veröffentlichungen:
- Schlegelmilch, Sabine: Johannes Magirus: Stadtarzt in Zerbst (1651-1656), in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte 20 (2011) 9-30.
- Schilling, Ruth / Schlegelmilch, Sabine / Splinter, Susan: Stadtarzt oder Arzt in der Stadt? Drei Ärzte der Frühen Neuzeit und ihr Verständnis des städtischen Amtes, in: Medizinhistorisches Journal 46 (2/2011) 99-133.
- Schlegelmilch, Sabine: Vom Nutzen des Nebensächlichen - Paratexte in den Kalendern des Arztes Johannes Magirus (1615-1697), in: Herbst, Klaus-Dieter (Hg.): Astronomie, Literatur, Aufklärung. Der Schreibkalender der Frühen Neuzeit mit seinen Text- und Bildbeigaben (Bremen 2012), S. 393-411.
- Schlegelmilch, Sabine: Die Iatromathematik in der Heilkunde der Frühen Neuzeit, in: Choriner Kapitel 2012 (im Druck).
Dieses Projekt ist Teil des von der DFG geförderten Forschungsverbunds "Ärztliche Praxis
(17.-19. Jahrhundert)"
(Sprecher: Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg)
http://www.medizingeschichte.uni-wuerzburg.de/aerztliche_praxis/index.html
(abgeschlossen)
Teilprojekt des Paketantrags "Ärztliche Praxis (17. –
19. Jahrhundert)" Das geplante Projekt soll die bislang kaum
erforschte ärztliche Praxis in den um 1800 an vielen deutschen
Universitäten gegründeten "Krankenbesuchs-Anstalten" – zeitgenössisch
auch Polikliniken genannt – untersuchen, in welchen Ärzte und
Medizinstudenten in erster Linie Kranke unterer Gesellschaftsschichten
in ihrem häuslichen Umfeld behandelt haben. Grundlage dieser Studie
ist eine einzigartige Sammlung von rund 800 handschriftlichen
Krankengeschichten, die Conrad Heinrich Fuchs (1803-1855), Professor
in Würzburg und später in Göttingen, zu Lehr- und Forschungszwecken
angelegt hat. Diese zeitnah handschriftlich dokumentierten Begegnungen
mit Kranken erlauben einen differenzierten Einblick in ärztliches
Handeln und Interaktionen zwischen Medizinern und Patienten in der
häuslichen medizinischen Versorgung in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts. Zudem ermöglichen die handschriftlichen
Krankengeschichten eine Annäherung an den Alltag der klinischen und
praktischen Ausbildung von Ärzten in dieser Zeit. Des Weiteren lässt
sich aus den Krankengeschichten und den Fachpublikationen der in den
"Krankenbesuchs-Anstalten" praktizierenden Ärzte herausarbeiten, in
welcher Weise die alltägliche Praxis die medizinische Theorie und ihre
Weiterentwicklung beeinflusste.
Projektleitung: PD Dr. Karen Nolte
Bearbeitung: Dr. Stephanie Neuner (stephanie.neuner@uni-wuerzburg.de)
Dieses Projekt ist Teil des von der DFG geförderten Forschungsverbunds "Ärztliche Praxis
(17.-19. Jahrhundert)"
(Sprecher: Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Stolberg)
http://www.medizingeschichte.uni-wuerzburg.de/aerztliche_praxis/index.html
(abgeschlossen)
Das Netzwerk hat sich zum Ziel gesetzt auszuloten, inwieweit eine als „praxeologisch“ bezeichnete
Perspektive einen innovativen Forschungsbeitrag zum Thema Körper leisten kann. Praxistheorien erscheinen
hierfür besonders geeignet, da sie gängige Dichotomien in der Debatte über den Körper, allen voran die
von „Natur“ und „Kultur“, zu überwinden versprechen. Praxeologische Perspektiven konzentrieren sich auf
Handlungsvollzüge, in denen natürliche und kulturelle, individuelle und gesellschaftliche Dimensionen
immer schon ineinander verwoben sind. Dabei rekurrieren sie auf vielfältige disziplinäre Zugänge, wie
soziologische, philosophische und kulturwissenschaftliche Handlungstheorien oder Konzepte der
Alltagsgeschichte, die in der Regel nicht in Beziehung zueinander gesetzt werden. Deshalb ist gerade der
interdisziplinäre Dialog hilfreich, um Grenzen und Leerstellen der jeweiligen Zugänge ausfindig zu machen
und produktiv zu wenden. Die Arbeit des Netzwerkes besteht darin, die Vielfalt an Theoriebezügen zu
bündeln, zu systematisieren und entlang praxeologischer Grundannahmen im Sinne eines interdisziplinären
Forschungsprogramms weiter zu entwickeln.
Zusammensetzung der Arbeitsgruppe:
Dr. Bettina Brockmeyer, Bielefeld (Geschichte)
Dr. Karin Klenke, Göttingen (Ethnologie)
Prof. Dr. Susanne Lettow, Berlin (Philosophie)
Dr. Ulrike Manz, Frankfurt a.M. (Soziologie)
PD Dr. Karen Nolte, Würzburg (Geschichte der Medizin)
Dr. Heike Raab, M.A., Innsbruck (Politikwissenschaft, disability studies)
Malaika Rödel, M.A., Frankfurt a.M. (Soziologie)
Dr. Eva Sänger, Frankfurt (Soziologie)
Dr. Uta Schirmer, Göttingen (Soziologie)
Prof. Dr. Sigridur Thorgeirsdottir, Reykjavik, Island (Philosophie)
Dr. des. Karen Wagels, Bielefeld (Soziologie)
Mica Wirtz, M.A., Hamburg (Soziologie, Bewegungswissenschaft)
Sprecherinnen:
Dr. Ulrike Manz
E-Mail: u.manz@soz.uni-frankfurt.de
und
PD Dr. Karen Nolte
E-Mail: karen.nolte@uni-wuerzburg.de
(abgeschlossen)
Die Bedeutung einer guten palliativmedizinischen Versorgung
unheilbarer und sterbender Kranker hat in den letzten 25 Jahren in
Medizin und Öffentlichkeit wachsende Anerkennung gefunden. Weltweit
sind Hunderte von Hospizen, Palliativstationen und ambulanten
palliativmedizinischen Diensten entstanden. Zahlreiche
Fachgesellschaften und Hospizvereine, mehr als ein Dutzend
Fachjournale und nicht zuletzt die WHO und nationale
Gesundheitsministerien treiben die Entwicklung weiter voran. Doch die
Geschichte der Palliativmedizin reicht viel weiter zurück. Alltäglich
mußten auch Ärzte in früheren Jahrhunderten erleben, wie sich
Schwindsüchtige, Wassersüchtige oder Krebskranke tagelang und
wochenlang in schwersten Schmerzen wanden oder nach Luft ringend elend
zu Grunde gingen. Und sie suchten nach Mitteln und Wegen, diese Leiden
durch „Palliation“, wie man auch um 1600 schon sagte, mit
medikamentösen, chirurgischen und pflegerischen Mitteln zu lindern.
Vor diesem Hintergrund soll das Vorhaben die wechselhafte Geschichte
der Palliativmedizin vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis in die 60er
Jahre des 20. Jahrhunderts in einer langfristigen, diachron und
synchron vergleichenden historischen Perspektive untersuchen. Diese
Untersuchung soll sich auf drei miteinander verknüpften Ebenen
bewegen:
1. Es soll im historischen Wandel untersucht werden, wie Ärzte,
Pflegekräfte und Laien die Notwendigkeit einer palliativmedizinischen
Betreuung einschätzten und begründeten, auch im Blick auf
konkurrierende, beispielsweise betont interventionistische oder
pastoral-religiöse Sichtweisen. Systematisch soll dabei der jeweilige
medizinische, demographische, kulturelle und religöse Kontext
einbezogen und nach epochenspezifischen ebenso wie nach regionalen und
nationalen Unterschieden gefragt werden, etwa im gesellschaftlichen
Umgang mit Sterben und Tod oder in der Bewertung von Schmerz und
Schmerzstillung.
2. Es soll konkret untersucht werden, welche praktische Bedeutung
Ärzte und Pflegekräfte der „Palliation“ im Umgang mit dem Leiden
Unheilbarer und Sterbender zu unterschiedlichen Zeiten zumaßen,
welcher Medikamente und chirurgischer Verfahren sie sich bedienten,
wie sie deren Einsatz im Rahmen der zeitgenössischen Körper- und
Krankheitskonzepte begründeten, welche Bedeutung sie seelischen und
sozialen Faktoren zusprachen, wie sie auf Innovationen wie Chloroform
und Anästhesie reagierten, und wie sich demographische und
epidemiologische Veränderungen (z. B. Rückgang der Tuberkulose,
Alterung der Gesellschaft, AIDS) auf die palliativmedizinische Praxis
auswirkten.
3. Es soll die Geschichte der palliativmedizinischen Behandlung in den
Institutionen der Gesundheitsversorgung verfolgt werden, insbesondere
in Hospitälern, Krankenhäusern, Häusern für Unheilbare und
vergleichbaren Einrichtungen, und untersucht werden, wie sich die
jeweilige institutionelle Verortung auf die palliativmedizinische
Praxis auswirkte.
Geographisch soll sich die Untersuchung auf den deutschsprachigen Raum
konzentrieren, wo die Palliativmedizin bis ins 19. Jahrhundert
intensiver diskutiert wurde als andernorts. Sie soll aber auch
vergleichend die Verhältnisse in Frankreich, England, den
Niederlanden, Italien und Spanien in den Blick nehmen.
Bearbeitung: Hannes Langriegerund Katrin Max
Veröffentlichungen:
- Katrin Max: Literarische Texte in der Medizingeschichte: Klabunds Erzählung Die Krankheit, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 27 (2008), S. 164–202.
- Hannes Langrieger: Ein Platz für Sterbende? – Das Unheilbarenhaus in der
vormaligen freien Reichsstadt Regensburg, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 27 (2008), S. 105–163.
- Hannes Langrieger: Die medizinische Versorgung Unheilbarer und Sterbender in Bamberg um 1800, in: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 29 (2010), S. 73-115.
- Michael Stolberg: „Cura palliativa“. Begriff und Diskussion der palliativen Krankheitsbehandlung in der vormodernen Medizin (ca. 1500-1850). In: Medizinhistorisches Journal 42 (2007), S. 7-29.
- Michael Stolberg: Fürsorgliche Ausgrenzung. Die Geschichte der Unheilbarenhäuser (1500-1900). In: Historia hospitalium 33 (2011) [im Druck]
- Michael Stolberg: Die Geschichte der Palliativmedizin. Medizinische Sterbebegleitung von 1500 bis heute. Frankfurt: Mabuse-Verlag [erscheint im Mai 2011]
Gefördert von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft
(abgeschlossen)
Gegenstand des Vorhabens ist die Untersuchung der Konstruktion,
Behauptung und Anfechtung ärztlicher Autorität und ärztlicher
Geltungsansprüche in der Medizin des deutschsprachigen Raums im
16. und 17. Jahrhundert. Es ist hervorgegangen aus einem
Forschungsprojekt von
Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael
Stolberg zu Pluralisierung und Autorität in der frühneuzeitlichen
Medizin im Rahmen des Münchener Sonderforschungsbereichs 573. Als
heuristischer Ausgangspunkt dient die Feststellung, daß sich der
individuelle „Ruf“ und die kollektive Autorität von Ärzten
damals kaum auf eine „objektive“, unübersehbare
Überlegenheit ihrer - heute weitgehend für obsolet erachteten -
Theorien und Praktiken gründen konnten. Sie sind vielmehr primär als
Ergebnisse sozialer Interaktionen und Prozesse zu verstehen, im
Wechselspiel von Selbstdarstellung und Außenwahrnehmung durch Kollegen
und Laien. Vor diesem Hintergrund sollen anhand ärztlicher
Briefwechsel und wissenschaftlicher Veröffentlichungen die Strategien
und Erfolge ärztlicher Selbstdarstellung verfolgt und die Maßstäbe
geklärt werden, nach denen einzelnen Ärzten und ihren Werken oder
Theorien ein autoritativer Status zugebilligt oder abgesprochen
wurde. In einem prosopographischen Ansatz sollen parallel dazu die
unterschiedlichen Lebens- und Karrierewege damaliger Ärzte erschlossen
und die Bestimmungsfaktoren identifiziert werden, die über den
Berufserfolg entschieden. Und unter nachdrücklicher Einbeziehung der
Laienperspektive soll schließlich nach der alltagspraktischen
Akzeptanz ärztlicher Autorität und ärztlichen Wissens in der
Bevölkerung gefragt werden, nach den Strategien, mit deren Hilfe sich
die Ärzte gegen konkurrierende Heiler durchzusetzen suchten, und nach
den Widerständen, auf die sie stießen.
Bearbeitung: Tilmann Walter
Veröffentlichungen:
- Herde, Simone / Tilmann Walter: Neues zur Biographie des Augsburger Arztes und Orientreisenden Leonhard Rauwolf (1535?–1596)“, in: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte 94 (2010), S. 129-156.
- Stolberg, Michael: Formen und Strategien der Autorisierung in der frühneuzeitlichen Medizin, in: Wulf Oesterreicher / Gerhard Regn / Winfried Schulze (Hrsg.): Autorität der Form – Autorisierung – Institutionelle Autorität, Münster 2003 (Pluralisierung & Autorität, Bd. 1), S. 205-218.
- Stolberg, Michael: Medizinische Deutungsmacht und die Grenzen ärztlicher Autorität in der Frühen Neuzeit, in: Richard van Dülmen / Sina Rauschenbach (Hrsg.): Macht des Wissens. Entstehung der modernen Wissensgesellschaft 1500–1820, Köln / Wien 2004, S. 113-130.
- Stolberg, Michael: Zwischen Identitätsbildung und Selbstinszenierung. Ärztliches Self-Fashioning in der Frühen Neuzeit, in: Dagmar Freist (Hrsg.): Diskurse – Körper –Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung, Bielefeld 2015, S. 33-55.
- Walter, Tilmann: Ärztehaushalte im 16. Jahrhundert. Einkünfte, Status und Praktiken der Repräsentation“, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 27 (2008), S. 31-73.
- Walter, Tilmann: Ärztliches Leben im frühneuzeitlichen Schwäbisch Hall: der Stadtarzt Johann Morhard (1554–1631)“, in: Heike Krause / Andreas Maisch (Hrsg.): Auf Leben und Tod. Menschen und Medizin in Schwäbisch Hall vom Mittelalter bis 1950 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Schwäbisch Hall, Heft 26), Schwäbisch Hall 2011, S. 72-83.
- Walter, Tilmann: Ärztliche Selbstdarstellung im Zeitalter der Fugger und Welser. Epistolarische Strategien und Repräsentationspraktiken bei Felix Platter (1536–1614)“, in: Angelika Westermann / Stefanie von Welser (Hrsg.): Person und Milieu. Individualbewusstsein? Persönliches Profil und soziales Umfeld (Neunhofer Dialog, Bd. 3), Husum 2013, S. 285-314.
- Walter, Tilmann: Sozialisation und Lebenszyklus in der Biographie des Basler Arztes Felix Platter (1536–1614)“, in: Florian Jeserich (Hrsg.): Ägypten – Kindheit – Tod. Gedenkschrift für Edmund Hermsen, Wien / Köln / Weimar 2013, S. 155-193.
- Walter, Tilmann / Simone Herde: „Ein gnuegsam Testimonium und Zeügknus“. Der Arzt Carl Wideman (1555–1637) im Streit mit dem Collegium medicum in Augsburg, in: Laura Balbiani / Kathrin Pfister (Hrsg.): Minera discipulorum. Vorstöße in das Fachschrifttum der frühen Neuzeit. Gedenkschrift für Joachim Telle, Heidelberg 2014, S. 301-344.
Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(abgeschlossen)
Die Geschichte der medizinischen Ethik hat in den vergangenen Jahren
viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Darin spiegelt sich nicht
zuletzt das Bewußtsein der kulturellen Kontingenz und historischen
Verwurzelung der verschiedenen ethischen Grundpositionen, welche die
gegenwärtigen Ethikdebatten bestimmen. Für die Zeit vor 1900
beschränkt sich die Forschung bisher freilich fast ausschließlich auf
die Analyse gelehrter Schriften vor allem zur ärztlichen
Pflichtenlehre. Normative, deontologische Schriften eröffnen jedoch
kaum Aufschluß darüber, wie Ärzte und andere Heilkundige früherer
Jahrhunderte in ihrem Alltag tatsächlich mit ethischen Fragen und
Wertekonflikten umgingen. Nur in der Anwendung am Krankenbett gibt
sich die konkrete, praktische Bedeutung und Wirkkraft jener
theoretischen, normativen Positionen zu erkennen, die im
ethisch-deontologischen Schrifttum formuliert wurden. Nur hier wird im
Falle widersprüchlicher Positionen greifbar, welche Auffassungen im
lebensweltlichen Umgang mit einem ethischen Dilemma vorherrschten und
das Handeln der Beteiligten bestimmten. Eine Alltagsgeschichte
medizinethischer Praxis ist daher ein dringendes Desiderat.
Es ist ein maßgebliches Anliegen des beantragten
Forschungsvorhabens, Wege zu einer solchen Alltagsgeschichte der
medizinischen Ethik an einem zentralen medizinethischen Problembereich
exemplarisch aufzuzeigen, der Geschichte des handelnden Umgangs mit
Schwerkranken und Sterbenden. Die Fokussierung auf die alltägliche
Praxis soll dabei, in Anknüpfung an die jüngere „Patientengeschichte“,
mit dem Versuch verbunden werden, ethische Konfliktsituationen so weit
wie möglich auch aus der Perspektive der Kranken und Angehörigen
heraus zu begreifen und ihre Einstellungen und Erfahrungen jenen der
Ärzte an die Seite zu stellen und mit ihnen zu kontrastieren. Als
Quellen sollen in erster Linie Patientenbriefe und Autobiographien von
Laien sowie erfahrungs- und praxisnahe Texte (Fallgeschichten etc.)
aus der Feder von Ärzten und Pflegenden aus dem deutschsprachigen und
niederländischen Raum dienen.
Bearbeitung: Karen Nolte
Veröffentlichungen:
- Michael Stolberg: Active euthanasia in early modern
society. Learned debates and popular practices. In: Social history of
medicine 20 (2007), S. 205-221.
- Michael Stolberg, Two pioneers of active euthanasia around 1800. In: The Hastings Centre Report 38 (2008), S. 19-22
- Karen Nolte: Dying at home: nursing of the critically and terminally ill in private care in Germany around 1900, in: Nursing Inquiry 16 (2009), 2, S. 144-154.
- Karen Nolte: Ärztliche Praxis am
Sterbebett in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, erscheint im
Frühjahr 2009 in: Walter; Hofer Bruchhausen, Hans-Georg (Hg.)
Ärztlicher Ethos im Wandel, Göttingen.
- Karen Nolte: “Pflege von Leib und Seele - Krankenpflege in
Armutsvierteln des 19. Jahrhunderts”, erscheint im Frühjahr 2009 in:
Sylvelyn Hähner-Rombach (Hg.) Alltag in der Krankenpflege: Geschichte
und Gegenwart/Everyday nursing life, past and present, Stuttgart.
- Karen Nolte: Vom Verschwinden der Laienperspektive aus der
Krankengeschichte. Medizinische Fallberichte im 19. Jahrhundert. In:
Sibylle Brändli-Blumenbach/Barbara Lüthi/Gregor Spuhler (Hgg.), Arbeit
am Fall: Historische Annäherungen an ein flüchtiges Konstrukt,
Frankfurt am Main 2009 [im Erscheinen], S. 30-58.
- Karen Nolte: “'Zum Besten der Menschheit, und zur Ehre der
Kunst'. Ärztliche Autorität in Fallberichten über
Gebärmutterkrebsoperationen um 1800”, in: Nicolas Pethes/Sandra
Richter (Hgg.), Medizinische Schreibweisen. Ausdifferenzierung und
Transfer zwischen Medizin und Literatur (1600-1900), Tübingen 2008,
S. 245-64.
- Karen Nolte: Carcinoma uteri and „Sexual Debauchery“ – Morals,
Cancer, and Gender in the Nineteenth Century. In: Social History of
Medicine 21 (2008), S. 31-46.
- Karen Nolte: „Telling the painful truth” - Nurses and physicians in
the 19 th century. In: Nursing History Review 16 (2008), S. 115-34.
- Karen Nolte: Vom Umgang mit unheilbar Kranken und Sterbenden in
„Kranken-Besuchs-Anstalten“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In:
Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, 26 (2007), S. 28-52.
- Karen Nolte: Vom Umgang mit Tod und Sterben in der klinischen und
häuslichen Krankenpflege des 19. Jahrhunderts. In: Sabine Braunschweig
(Hg.) Pflege – Räume, Macht und Alltag, Zürich 2006, S. 165-74.
- Karen Nolte: Zeitalter des ärztlichen Paternalismus? – Überlegungen zu
Aufklärung und Einwilligung von Patienten im 19. Jahrhundert. In:
Medizin, Gesellschaft und Geschichte 25 (2006), S. 59-89.
Gefördert von der Fritz-Thyssen-Stiftung
(abgeschlossen)