Ärztliche Praxis (17.-19. Jahrhundert)

Die Praxisjournale Johann Friedrich Glasers (1750-1763) aus Suhl (Thüringen)

Ein Praxistagebuch von 1750 Ziel des Forschungsprojektes ist erstens die Rekonstruktion einer ärztlichen Praxis aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie soll als ein Fallbeispiel für die übergeordnete Fragestellung nach der Einbettung ärztlichen Handelns im sozialen Kontext dienen, die ihm Forscherverbund Ärztliche Praxis (17.-19. Jahrhundert) vergleichend untersucht wird. Zweitens sollen die der handschriftlichen Quelle zugrunde liegenden Aufschreibetechniken analysiert und ihre Funktion als Wissenstechnik herausgearbeitet werden. Materielle Grundlage des Forschungsvorhabens ist ein Praxistagebuch Johann Friedrich Glasers, das auf 1200 Seiten seine Tätigkeit in den Jahren 1750 bis 1763 dokumentiert. Johann Friedrich Glaser praktizierte seit 1738 in Suhl, wo er zwanzig Jahre später die Position des Stadt- und Amtsphysicus bekleidete. Er war Mitglied zahlreicher Akademien der Wissenschaften. Dank seiner umfangreichen Publikationsliste ist es möglich, sein medizinisches Handeln mithilfe einer dichten Diskursanalyse wissenschaftshistorisch einzuordnen. Bei Vorarbeiten wurden mehrere interpretationsbedürftige Ergebnisse gewonnen, die zurzeit näher untersucht werden: Johann Friedrich Glaser ging nicht auf Reisen, sondern praktizierte im eigenen Haus. Dies steht im Widerspruch zu dem in der Forschung verbreiteten Bild des 'reisenden Arztes'. Zu eruieren ist, warum sich Glaser erlauben konnte, seine Patienten zu sich kommen zu lassen. Dank Glasers Beschreibungen in den von ihm veröffentlichten gedruckten Schriften und seiner Korrespondenz können wir uns eine Vorstellung vom Alltag in dieser Praxis in Suhl machen. Ein Praxistagebuch von 1750 So spricht er beispielsweise von ca. 800 Büchern, die er in seinem Wohnhaus, in dem er auch praktiziert hatte, besaß und auch davon, dass er in und vor seinem Wohnhaus physikalische und chemische Experimente anstellte. Um die Position Glasers in der medizinischen Welt Suhl und seiner Umgebung angemessen beurteilen zu können, ist es notwendig, die materiellen Bedingungen seines ärztlichen Handelns in seiner Praxis zu rekonstruieren. Ungefähr ein Drittel der Patienten konsultierte Glaser nur über Boten. Obwohl er Stadtarzt von Suhl war, behandelte Glaser zu einem großen Teil Patienten, die nicht aus Suhl, sondern aus den Dörfern aus der näheren und weiteren Umgebung stammten. Die geographische Verortung der Heimatorte seiner Patienten zeigt, welche Wege die Angehörigen der Patienten und sie selbst bereit waren, auf sich zu nehmen. Somit kann rekonstruiert werden, wie weit der Einfluss der stadtärztlichen Praxis reichte und wie eng das städtische und ländliche Medizinalwesen in Suhl und Umgebung zur Mitte des 18. Jahrhunderts miteinander verflochten waren. Glaser beschränkte sich ausschließlich auf "innere Kuren" und enthielt sich jedes Übergriffs in das chirurgische Fachgebiet. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Glaser mütter- und väterlicherseits aus Scharfrichterfamilien stammte und eine Schrift über ein von ihm selbst entwickeltes Blutmessgeschirr verfasste. Es ist also zu fragen, in welchem Zusammenhang die medizinische Tätigkeit, die das Praxistagebuch dokumentiert, zu dem Gesamtwissen Glasers stand: Zeigt es nur den Ausschnitt, der mit seinem Selbstverständnis als akademisch gebildeter Arzt vereinbar war? Außerdem ist es aufschlussreich zu untersuchen, ob und wie sich die Diagnostik und Therapeutik im Laufe der dreizehn Jahre, die das Buch umfasst, veränderte. Das geschieht mit Hilfe der Transkription und Analyse ausgewählter Jahre und Monatsreihen seines Praxistagebuchs. — Volker Hess

Volker Hess — ausgewählte Publikationen mit Bezug zum Forschungsprojekt (Stand: 5. April 2011)

Ruth Schilling — ausgewählte Publikationen mit Bezug zum Forschungsprojekt (Stand: 5. April 2011)

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